Die "Klobenstein-Hefte"

Im Sinne der geschichtlichen Zeugnisse ist 1996 die erste "Freud-Woche" von Klobenstein veranstaltet und die Zeitschrift angewandter Psychoanalyse "Klobenstein-Hefte" gegründet worden, und zwar als Moment einer "Neudeutung" des Freudschen Werks, einer "Rückkehr" zu den Entdeckungen der Psychoanalyse, als Moment der klinischen Ausbildung und Bearbeitung, der kulturellen und interdisziplinären Vertiefung.

Die "Freud-Woche" will als weitere Forschung in Richtung einer psychoanalytischen Tradition in unserem Land, einer Tradition im Namen der klinischen Arbeit und der Kultur verstanden werden. Die Beziehung zwischen Tradition und Neuerung spielt eine wesentliche Rolle sowohl in der Kultur als auch in der Geschichte der Psychoanalyse, und zwar als Dialektik, die jedem äußerlichen und innerlichen Ereignis innewohnt. Im psychoanalytischen Sinne gehört eine solche Dialektik in jenen Komplex der Bewunderung und der Abneigung, der Nacheiferung und der Rivalität, des Wunsches nach Identifizierung und Differenzierung, nach Unsterblichkeit und Tod, der unter dem Namen Ödipuskomplex bekannt ist.

In diesem Zusammenhang, in der gegenseitigen Einwirkung von Tradition und Neuerung werden die Perspektiven der Vergangenheit und der Zukunft gegeneinander austauschbar und reich an Bedeutungen: Das Abwesende (das Gewesene), die Tradition, setzt die Neuerung voraus und ist also in der letzteren schon enthalten. Es ist jedoch etwas Anwesendes (das Sein), das sich als etwas Abwesendes offenbart. Davon rührt die Faszination sowie der Reichtum einer solchen gegenseitigen Einwirkung her.

Aufgrund ihrer zweigesichtigen Natur (sie ist die reife Frucht der Modernität und zugleich das Ergebnis einer älteren Weisheit) ist die Psychoanalyse mit Kultur verwoben, denn (wie Ludwig Binswanger geschrieben hat) sie hat es nicht mit einem Subjekt zu tun, das seiner Welt entbehrt, sondern umfaßt die menschliche Anwesenheit als ursprüngliches In-der-Welt-sein, und sie berücksichtigt die bestimmten Hauptformen, in denen die menschliche Anwesenheit konkret vorhanden ist.

Vieles hat der Mensch erprobt, seitdem wir ein Gespräch sind, wie Hölderlin in einem Gedicht geschrieben hat. In unserer Epoche, die durch die Erfolge der Technik und der Anwendungen der Pharmakotherapie gekennzeichnet ist, darf man nicht die Subjektivität des Patienten, das Menschliche in der Psychiatrie und die (Transfer-) Liebe in der Psychotherapie übersehen. Nur in diesem Sinne werden die Wissenszweige, die Psychiatrie, die Psychoanalyse und die psychologischen Wissenschaften zur Psychotherapie (eine Behandlung, die vom Geist ausgeht), und zwar im "Gespräch miteinander".

Die Psychoanalyse, die Psychiatrie, die psychologischen Wissenschaften werden - als Praxis - zu ethischen Wissenschaften, zu Wissenschaften vom Menschen, der nach dem Sinn von dem fragt, was als Gesundheit und Krankheit betrachtet wird. Das Unbehagen des Anderen wird dann als genealogische Schicht des Sinnes erscheinen, als eine konkrete Art des Subjekts in seinen intersubjektiven Beziehungen, also als eine Art des Ortes, des Ethos und der Wohnstätte des Menschen.

Wenn die Alienation eine Selbst-Entfremdung bedeutet, dann gibt es keine zerstörerische Alienation als jene, die der Mensch heutzutage erleidet, der der unbestrittenen Macht der Wissenschaft - auch der psychologischen - ausgeliefert ist. Vielleicht stammt eben daraus, die Angst unserer Zeit - wie es Umberto Galimberti formuliert hat – vor der <<Gefahr, daß der Mensch der Wissenschaft gehört, und zwar in höherem Maße als die Wissenschaft dem Menschen gehört. Und dies gilt auch für die Psychologie.>>

Nach Freud zählt seine Entdeckung zu den großen Schlägen, die dem Narzißmus der Menschheit versetzt wurden, und vielleicht gibt es noch jemanden, dem das mißfällt. Man sagt, daß unser Jahrhundert als die Epoche der Psychoanalyse betrachtet werden kann; wir glauben, daß es schon eine große Errungenschaft wäre, wenn wir den "Sinn" dieses Seins im Jahrhundert der Psychoanalyse erfassen würden, auch in Anbetracht des Mißtrauens und der Ungewißheit, die sie - zusammen mit anderen Elementen - in die Gewißheit des Menschen eingeführt hat.



Alle Rechte vorbehalten
(C) IMAGO - Forschung
Direktor: F. Marchioro


ItalianoDeutschEnglish

Imago Forschung angewandte Psychoanalyse - Italienallee 30/9 39100 Bozen (I)
Tel. +39 3336347740 imagoricerche@gmail.com