Klobenstein-Hefte (nr. 4 - 1998/1999)

Unveröffentliche Briefe - 2 - , Sigmund Freud - Otto Rank
2. Freud Woche di Klobenstein
Gli psicantropi nel 3° millennio - Attualità di Bion, Luigi Pagliarani
Entwicklungen in Gruppen, Wolfgang Schmidbauer


Entwicklungen in Gruppen

Wolfgang Schmidbauer

Als ich vor mehr als zwanzig Jahren begann, Gruppen zu leiten, hatte ich einige klare Modelle im Kopf, wie sich Gruppen entwickeln, welche Phasen sie durchlaufen und was der Leiter tun kann, um der Gruppe diese Prozesse verständlich zu machen. Ich hatte Bion studiert und mich von Slaters Versuchen faszinieren lassen, im Mikrokosmos der Gruppe den rituellen Mord am Totem-Ahnen wiederaufzuspüren. Ich beobachtete, und manchmal deutete ich auch, wie die Gruppe sich vom Leiter abhängig macht oder sich durch den Protest gegen den Leiter und gegen diese Abhängigkeit zu befreien sucht.

Ich kannte Gruppenleiter, die solche Reaktionen der Gruppe durch manifeste oder latente Provokationen förderten, etwa indem sie grundsätzlich auf Fragen schwiegen oder eine verwirrte Teilnehmerschar durch ein Pokerface in die Autonomie zu führen suchten. Einigte sich die Gruppe gegen den Leiter, dann war das ein emanzipatorischer Schritt der Grupppe. Als ich kurz vor der Wiedervereinigung in Leipzig zum ersten (und wie sich inzwischen erwiesen hat auch letzten) Freud-Kongreß der ehemaligen DDR eingeladen war, entdeckte ich in dem, was die Kollegen dort über ihre gruppentherapeutischen Konzepte berichteten, erstaunliche Ähnlichkeiten zu diesem Vorgehen: Ein festes Modell über die Beziehung der Gruppe zum Leiter, Regeln, nach denen sich ein therapeutischer Gruppenprozeß zu entwickeln hat, und ein - so schien es mir - vorformuliertes Verhalten des Leiters, das diesen Prozeß fördern sollte.

Damals wurde mir bewußt, daß ich von solchen Vorstellungen abgekommen war, ohne das jemals auf einer theoretischen Ebene reflektiert zu haben. Es schien mir ein Beispiel, wie treffend der Gedanke von Cremerius ist, daß jeder Analytiker im Lauf seiner persönlichen Entwicklung eine eigene, inoffizielle und häufig von ihm auch nicht publizierte Methode entwickelt, die sich von der offiziellen Methodik beträchtlich unterscheiden kann. Er verständigt sich mit seinesgleichen auf Kongressen in einer Theoriesprache, in der er seine Praxis gar nicht mehr formulieren könnte. Er weiß, was offizielles Ideal ist, empfindet seine Abweichungen als praktisch bewährt und stellt im Gespräch mit Kollegen unbewußt einen Kompromiß her, der immer noch vorgibt, er tue weitgehend alles so, wie es in der offiziellen Lehre verankert ist. Nur in einer nichtöffentlichen Situation, mit vertrauten Freunden, erläutert er vielleicht Teile dieser undogmatischen Praxis. Das meiste behält er für sich, Goethes Motto getreu, das Freud einmal zitiert hat: "Das beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen."

Die Deutung der ganzen Gruppe

Ich will im Folgenden versuchen, ein wenig von dieser Verschwiegenheit zu lassen und Ihnen vorzustellen, was sozusagen die Theorie meiner persönlichen Praxis geworden ist. Ich hoffe, wir können das im guten analytischen Geist tun, das heißt ohne Rechthaberei und Autoritätsgläubigkeit, in Bereitschaft, den dauernd gefährdeten Versuch einer partnerschaftlichen Wahrheitssuche immer wieder aufzunehmen und geduldig alle Störungen auf diesem Weg als Teil der gemeinsamen Arbeit zu akzeptieren.

Ein erstes Phänomen, das mir an mir aufgefallen ist, ist die immer vorsichtigere Dosierung von Deutungen der ganzen Gruppe, die mir aus meiner Anfangszeit als Essenz und Hauptaufgabe der Arbeit des Gruppenleiters erschienen. Ich glaube, daß diese Preisgabe mit einer Entwicklung meiner analytischen Haltung zusammenhängt. Die interaktionelle Wahrheitsfindung aus einem gleichberechtigten Spiel mit Einfallsmaterial beider Partner ist ist für mich eine wesentliche Quelle des konstruktiven Prozesses der Analyse.

Ich halte nichts mehr davon, aufgrund vorformulierter Prinzipien meinen Analysanden Frustrationen aufzuerlegen, die ich ihnen nicht begründe, wie das im Rahmen von Teamarbeit unerläßlich ist. Ich verstehe mich als ein Dienstleistungsunternehmen, das dann am besten funktioniert, wenn beide Seiten sich möglichst gut entfalten können, wenn also die Kreativität des Analytikers ebenso gefördert wird wie die Kreativität des Patienten, um die heilende Wirkung der Wahrheit - das heißt auch: der Toleranz für die Realität, wie sie nun eben ist - zu fördern.

Wenn mich beispielsweise jemand frägt, warum ich die Gruppe nicht strukturiere, schweige ich nicht, deute ich nicht und stelle keine Gegenfrage. Ich erkläre, was meiner Ansicht nach der Sinn dieses Vorgehens ist. Ich versuche in dieser Erklärung bereits das unterzubringen, was mir ein wesentlicher Gewinn einer konsequenten analytischen Haltung ist: die Akzeptanz für Ambivalenzen, die Fähigkeit, in der Wahrnehmung der unangenehmen Seiten einer Situatition oder einer Person die angenehmen nicht zu verdrängen, kurzum möglichst wenig zu spalten. Anders gesagt: ich beschäftige mich in solchen Anfangssituationen viel weniger mit Hypothesen über Widerstände und konzentriere mich mehr auf meine Rolle als Therapeut (was ja ursprünglich Diener heißt), der an interaktioneller Wahrheitsfindung interessiert ist und ein dazu möglichst günstiges Klima durch möglichst viel und genaue Information schaffen will.

Meine Erklärung sieht dann etwa so aus: wer einer Gruppe klare Anleitungen gibt, der hilft ihr über Unsicherheiten und schafft eine Struktur, die hilfreich sein kann, aber auch einengt. Wer hingegen, wie der analytische Gruppenleiter, die Gruppe strukturlos läßt und den Prozeß der Strukturbildungen und der Interaktionen deutet, der gibt der Gruppe ebenfalls etwas, aber er nimmt ihr auch Halt und verursacht Unsicherheit und Angst. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, daß diese Strukturlosigkeit fruchtbar sein kann, und schlage der Gruppe vor, es doch mit diesem Modell zu versuchen. Das heißt, ich versuche mich, so weit es geht, als Spielgefährten und als Partner darzustellen; damit kann ich meine Autorität natürlich nicht ablegen, aber sie lastet weniger auf der Gruppe und auch auf mir. Denn ich handle nicht deshalb so, weil ich diese Art, mich als Leiter einzubringen, für die einzig richtige halte, sondern weil sie mir persönlich entspricht.

Mein grundsätzlicher Kritikpunkt gegen die Deutung der ganzen Gruppe ist vor allem die Schwierigkeit einer interaktionellen Wahrheitsfindung bei solchen Interpretationen. In den extrem gruppenbezogenen Konzepten der Klein-Schule deutet der Leiter niemals ein Individuum, sondern bezieht sich auf dieses stets nur als Teil der Gruppe. Dadurch wird ein Austausch über die deutungsabhängigen Einsichten erschwert. Der Analytiker verliert die Möglichkeit einer Kontrolle seiner Arbeit durch die Gruppenmitglieder. Er hält eine Distanz zur Gruppe aufrecht, die nur durch ein "unnatürliches" Sozialverhalten ermöglicht ist.

Das ist gewiß ein problematischer Begriff, ich glaube aber, daß natürliches zwischenmenschliches Verhalten im Einzelfall durchaus von künstlichem unterschieden werden kann, obwohl beide Begriffe nicht nur Umgangsformen beschreiben, sondern auch selbst umgangssprachlich sind. Ein Leiter, der auf Fragen grundsätzlich mit Gegenfragen oder Deutungen antwortet, der auf ein persönliches Beziehungsangebot mit Formulierungen eingeht, die eine ganze Gruppe betreffen, stellt für meinen Eindruck eine künstliche Situation her, in der ich mich nicht wohl fühlen würde und die ich auch unter einem therapeutischen Gesichtspunkt nicht für günstig halte. Meine analytische Haltung beruht darauf, ein auf möglichst "natürlichen" Interaktionsformen beruhendes Arbeitsbündnis bzw. eine mild-positive Übertragungsbeziehung aufzubauen. Vor dieser Folie erst kann eine interaktionell überprüfbare Deutung in Bezug auf Übertragungen gefunden und ein Konsens, im Gegensatz zu einer Indoktrination, über die analytische Wahrheit hergestellt werden.

Angehende Gruppentherapeuten machen beim Übergang von der hochmotivierten und frustrationstoleranten Ausbildungs-Selbsterfahrungsgruppe in die Arbeit mit Patientengruppen häufig schlechte Erfahrungen mit der durch vorwiegende Gruppendeutungen etablierten Distanz und Frustration der Gruppenmitglieder. Ich kenne Fälle, in denen so geleitete Therapiegruppen in der Anfangsphase die Hälfte und mehr ihrer Mitglieder verlieren. In einem Fall kollabierte die Gruppe nach acht Sitzungen und der Leiter hat nie wieder versucht, seine gruppentherapeutische Ausbildung in Praxis umzusetzen. Anderseits kann auch eine zugängliche, die Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder beachtende Haltung des Leiters Gefahren mit sich bringen. Sie erleichtert zwar die Anfangsphase, kann aber später Abhängigkeits- und Verwöhnungsbedürfnisse stimulieren, die ebenfalls die Fortdauer einer Gruppenmitgliedschaft gefährden und den Leiter sehr belasten (vor allem wenn er sich nicht abgrenzen kannt, Anrufe von Gruppenmitgliedern während der sitzungsfreien Tage entgegennimmt oder zusätzliche Einzelstunden anbietet).

Mir scheint, daß der Gruppenanalytiker zwar die ganze Gruppe in seinem Bewußtsein präsent halten, in seinem Deutungsstil jedoch flexibel zwischen individuellen und gruppenbezogenen Interventionen abwechseln sollte, und zwar so, daß beide in einem sozusagen respiratorischen Verhältnis zueinander stehen. Der Gruppenprozeß zentriert sich abwechselnd auf die Vertiefung in individuelle und die Ausweitung auf kollektive Dynamiken, jede Seite bedingt die andere, der Leiter ist bald Partner in einer analytischen Dyade vor Zeugen, bald zentrale Figur in einem gruppendynamischen Prozeß, macht individuelles Material für die ganze Gruppe zugänglicher und vermittelt einzelnen Mitgliedern ein tieferes Verständnis für die Dynamik ihrer sozialen Beziehungen. Ich finde es dabei wichtig, die Verwendung von Gruppendeutungen nicht nur als wissenschaftlich-methodisches Problem zu diskutieren, sondern sie auch in einen Kontext von Gegenübertragungssituationen zu stellen. Sie hängen eng mit den Bedürfnissen des Leiters nach Distanz oder Nähe zu einzelnen Mitgliedern oder zur ganzen Gruppe zusammen. Wenn er den Eindruck hat, seine Beziehung zu einem Mitglied werde zu ausschließlich, kann er mit einer Grupppendeutung oder einer anderen auf die ganze Gruppe bezogenen Intervention diese Situation korrigieren; umgekehrt wird ein er Mitglied persönlich ansprechen, wenn er das Gefühl hat, dessen Integration in die Gruppe sei gefährdet.

Als Leiter einer Therapiegruppe sehe ich meine Rolle häufig als die eines Dolmetschers zwischen dem Mitglied, dessen soziale Störung gegenwärtig besonders aktualisiert ist und seinen Verbleib in der Gruppe erschwert, und dem Rest der Gruppe, der diesen augenblicklichen Problemträger umso besser integrieren kann, je klarer in seiner auch die eigene Störung erkannt wird.

Technische Ideale der Analyse sind nur so lange nützlich, wie sie eine analytische Situation haben, in der sie wirken können. Es nützt wenig, korrekt und abstinent gearbeitet zu haben, wenn kein Analysand mehr da ist, der uns dafür schätzen kann. Dann finde ich es richtiger, von den eigenen Ansprüchen etwas nachzulassen, um zu verhindern, daß ein Prozeß vorzeitig beendet wird, der noch Entwicklungsmöglichkeiten in sich trägt.

Das ist im Einzelfall natürlich eine oft knifflige Entscheidung. Ich bin mir, wenn ich z.B. meine persönliche Überzeugungskraft in die Waagschale werfe, um ein Mitglied in einer Gruppe zu halten, nie ganz sicher, ob ich dadurch nicht einen ohnehin aussichtlosen Versuch noch verlängere. Aber mein Eindruck ist eher der, daß erfahrene Gruppenleiter mehr und geduldiger um Mitglieder werben als Anfänger, die strenger sind, wenn jemand nicht genügend motiviert erscheint. "Ich bettle doch nicht, daß jemand bei mir bleibt", sagte mir ein solcher, ob der Abbruchstendenzen der Mitglieder seiner ersten Therapiegruppe verzweifelnder Leiter in einer Supervisionsstunde einmal. Für ihn war es Betteln, einer Patientin zu sagen, daß er sie bitte, doch das vereinbarte halbe Jahr in der Gruppe auszuharren, ehe sie ein endgültiges Urteil darüber fälle, ob sie mit diesen Menschen weiterarbeiten wolle oder nicht.

Es ist also wesentlich, zwischen einer sinnvollen Verwirklichung analytischer Arbeit und einem technischen Ideal zu trennen. Z.B. kann die Erfüllung strenger Abstinenzideale destruktiv sein, wenn der analytische Prozess an ihnen scheitert; die für diesen Prozess günstigste Abstinenz ist häufig etwas ganz Anderes als die im Über-Ich des Analytikers gespeicherte vollkommene Abstinenz (in der z.B. Fragen nicht beantwortet, sondern hinterfragt werden).

Dennoch bin ich nicht dafür, die Aufmerksamkeit für die ganze Gruppe in der Kritik an den von einem analytischen Olymp geäußerten, interaktionell nicht nachprüfbaren Gruppendeutungen aufzugeben. Ein wesentlicher Vorteil der Gruppendeutungsorientierung ist die Schulung der Aufmerksamkeit für subtile Ereignisse in sozialen Gebilden, die bei einer schlichten Fortsetzung der einzelanalytischen Arbeit in Gruppen nicht mehr wahrgenommen werden können.

Die Regeneration der Gruppe

Während die in der Literatur über den Gruppenprozeß gesammelten Erkenntnisse sich auf geschlossene Gruppen beziehen, die über kürzere oder längere Zeit zusammenbleiben, ist der typische Rahmen des Gruppentherapeuten meist eine "halboffen" oder "slow open" genannte Gruppe. Ich ziehe den Ausdruck "regenerierende Gruppe" vor und werde ihn künftig verwenden. Sie beginnt irgendwann geschlossen. Aber im Lauf der Zeit werden Mitglieder, die ausscheiden, durch neue ersetzt, die deren Platz einnehmen. Solche Gruppen haben ganz andere Qualitäten als geschlossene Gruppen, vor allem, wenn sie sich über viele Jahre hin entwickeln und sozusagen zu einem Organismus werden, der seine Form auch dann behält, wenn jedes seiner Moleküle ausgetauscht wurde.

Die beiden Therapiegruppen, mit denen ich seit rund zwanzig Jahren arbeite, sind solche Gruppen. Sie haben mehrmals ihre Mitglieder gewechselt, so daß von den vielleicht vierhundert Menschen, die in ihnen waren, nur zwanzig die Anfangsphase einer ganzen Gruppe erlebt haben. Der Rest geriet in ein bereits vorhandenes soziales System, wie jüngere Geschwister, die in eine Familie hineingeboren werden. Ich weiß, daß es Leiter gibt, die auch ambulante Therapiegruppen geschlossen führen, z.B. nach einem Jahr die Gruppe beenden, und wenn Mitglieder weiterarbeiten wollen, ihnen allenfalls einen Platz in einer neugegründeten Gruppe anbieten.

Ich ziehe die regenerierende Form vor, weil ich sehr positive Erfahrungen mit sehr langen Gruppenbehandlungen - bis zu zehn Jahren - bei schweren Charakterstörungen gemacht habe, die ich in keinem anderen Setting mit vergleichbarem Aufwand erreichen konnte. Mein Eindruck ist auch, daß hier therapeutische Potentiale liegen, die es in dem von vornherein begrenzten Rahmen der geschlossenen Gruppe nicht gibt; umgekehrt sind die Mitglieder naturgemäß der Situation beraubt, als ganze Gruppe die gemeinsame Arbeit zu beenden, wodurch doch häufig wesentliche Dynamiken entstehen. Da ich in beiden Modellen viel gearbeitet habe, kann ich auch sagen, daß jedes seine Vor- und Nachteile hat und es nicht möglich ist, das eine durch das andere zu ersetzen oder eine Überlegenheit in allen Belangen festzustellen. Für die Arbeit in einer ambulanten Praxis scheint mir die regenerierende Gruppe organisatorisch ökonomischer. Sie erlaubt dem Analytiker eine beruhigende Routine, die bei der ständigen Zusammenstellung neuer Gruppen fehlt, und entspricht dem unterschiedlichen Tempo, das unterschiedlichen Menschen zu eigen ist.

Die Gruppen-Entwicklungsmodelle, die es in der Literatur gibt, helfen in der praktischen Arbeit mit regenerierenden Gruppen oft nur sehr wenig. Es ist wie mit der Küstenschiffahrt, bei der auch ein Kapitän, der vorzüglich nach seinen Instrumenten navigieren kann, auf den kundigen Lotsen angewiesen ist, oder aber, falls er einen solchen nicht an Bord nehmen kann, gut daran tut, Karten und Instrumente beiseite zu legen und seine Sinne für die unmittelbaren Eindrücke zu schärfen, die ihm helfen, seinen Weg durch Klippen und über Untiefen zu finden.

Der Rahmen

Die regenerierende Gruppe braucht vielleicht noch mehr als die geschlossene Gruppe einen festen Rahmen und eine klare äußere Struktur. Das beginnt bei ganz einfachen, praktischen Dingen: einem genügend großen Raum, einigermaßen bequemen Stühlen, der Abwesenheit von Störungen durch Telefonate oder Lärm vor der Türe. Ob beispielsweise ein Leiter pünktlich zum Sitzungsende aufsteht und den Raum verläßt, oder ob er bzw. sie die Gruppe beendet und nun im Raum wartet, bis die Mitglieder gegangen sind, das macht bereits einen wesentlichen Unterschied.

Die Methode wird hier auch vom Ort mitbestimmt; in einer Praxis mit mehreren Räumen kann ich problemlos mit meiner Koleiterin in ein anderes Zimmer gehen; in der Gemeinschaftspraxis, in der ich seit langem meine Gruppen durchführe, habe ich nur ein Zimmer und muß darin bleiben und damit rechnen, daß mich das eine oder andere Gruppenmitglied noch anspricht, etwas frägt, einen Urlaubstermin mitteilt. Ich kürze solche Gespräche möglichst ab, so gut sich das mit taktvollen Umgangsformen vereinbaren läßt.

Der Rahmen ist auch mitverantwortlich für die Interaktionen außerhalb der Gruppe. Eine Praxis an einem Großstadtplatz, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln viel besser zu erreichen ist als mit individuellen, schafft ein anderes Gruppenklima als ein Haus in einem Vorort, wohin die meisten mit dem Auto fahren. Dann ergeben sich fast zwangsläufig Fahrgemeinschaften, die in Untergruppen oder Zweierbeziehungen übergehen können.

Aus meiner Anfangszeit erinnere mich mich auch an Gruppenverträge, in denen aller Kontakt der Mitglieder außerhab der Sitzungen untersagt war. Auch in diesem Rahmen gab es laxe und strikte Varianten: Bei den strikten mußten Mitglieder, die bei solchem Agieren ertappt wurden, die Gruppe verlassen, bei den laxen wurde ihre Übertretung nur bearbeitet. Nun will ich keineswegs leugnen, daß es mir als analytischem Leiter am liebsten wäre, meine Gruppenmitglieder würden alles, was sie miteinander bewegt, in den Gruppen austauschen. Aber dieses Ideal durch Gebote und Strafdrohungen durchzusetzen, scheint mir den Grundsätzen des Teamwork und der interaktionellen Wahrheitssuche zu widersprechen.

Die natürliche Reaktion von Mitteleuropäern auf das Setting der regenerierenden Gruppe scheint mir zu sein, daß es Nachsitzungen gibt und daß einige, aber nicht alle Mitglieder an ihnen teilnehmen. Es gibt auch immer wieder freundschaftliche, geschäftliche, sogar sexuelle Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern. Durch Verbote läßt sich das nicht verhindern, durch Gewährenlassen ebenfalls nicht; ein für allle Male ausschließen kann man es nie, und die zentrale Aufgabe des Leiters scheint mir zu sein, möglichst viel an analytischer Arbeit auch in solchen ungünstigen Situationen zu ermöglichen. Manches an diesen Außendingen läuft den analytischen Absichten zuwider, anderes kann sie auch fördern, wenn so gewonnenes Material einbezogen und dadurch die Wahrheitssuche, die ja keineswegs unabhängig von der Lebensrealität der Mitglieder betrieben werden kann, gefördert wird. Wenn beispielsweise ein Mann immer von seiner Freundin als einer jähzornigen, ihn bösartig kritisierenden Megäre spricht und diese dann zufällig zu einer Nachsitzung erscheint, um ihn abzuholen, dann ist es von großem konfrontierenden Wert, wenn die anderen Gruppenmitglieder eine sanfte, liebevolle Frau wahrnehmen.

Mein Gruppenvertrag sieht nur vor, daß Außenbeziehungen möglichst eingebracht werden und die gewöhnliche Diskretion des im Zweiergespräch anvertrauten Materials nicht gelten soll. Verglichen mit der Gefahr, daß Material ausgegrenzt wird, scheint mir die Unannehmlichkeit geringer, die durch Disziplinlosigkeiten entsteht. Besonders problematisch sind hier sexuelle Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern, die über längere Zeit verheimlicht werden.

Das Paar fällt aus der Gruppe heraus, intimes Material wird in der Dyade agiert und nicht mehr in der ganzen Gruppe ausgetauscht. Aber es steht mir nicht zu, hier den Zuchtmeister zu spielen. Ich halte nichts von indirekten Sanktionen, die sich beispielsweise in die düstere Prophezeiung kleiden, solche Beziehungen seien Inzeste und hätten daher keine Aussicht auf Bestand. Ein Analytiker ist nicht im Besitz von Wissensquellen, die dem Durchschnittsmenschen verschlossen sind, und kein besserer Prophet als die Frau und der Mann, die sich hier entschlossen haben, die sexuelle Befriedigung höher zu schätzen als Verzicht und Einsicht. Die Qualifikation des Analytikers liegt eher darin, daß er solche Ambivalenzen toleriert und seine Unwissenheit über die Zukunft ohne die Suche nach voreiligen Gewißheiten erträgt.

Ereignisse, wie die Etablierung von Nachsitzungen oder die sattgehabte sexuelle Beziehung zwischen Gruppenmitgliedern prägen den Verlauf und die spezifischen Krisen regenerierender Gruppen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß über viele Jahre hin in einer meiner beiden Therapiegruppen immer wieder kürzere oder längere, offenere oder verdecktere Liebschaften zustande kamen, während in der zweiten nur ein einziges Mal - soviel ich weiß, natürlich - ein solches Ereignis eingetreten ist. Ich habe mich oft gefragt, wie dieser Unterschied zustandekommen mag, und keine schlüssige Erklärung gefunden. Einen kleinen Teil mag beitragen, daß die eine Gruppe am späten Abend, zwischen acht und zwanzig vor zehn Uhr stattfindet, während die andere bereits um halb sieben beginnt. Aber die nur erahnte Unbekannte scheint mir die Gruppenkultur, das Gruppenklima zu sein, das fortbesteht, auch wenn die Mitglieder wechseln. Bezeichnend ist auch, daß ich von der erotischen Beziehung in der zweiten Gruppe, in der solche Dinge nie aufzutreten schienen, auch nicht in der Gruppe erfahren habe, sondern während einer Einzelsitzung mit der beteiligten Frau, als der Mann die Gruppe längst mit der Bemerkung verlassen hatte, er finde hier keine Anregungen mehr.

Kombinierte Behandlungen und Krisenintervention

Damit komme ich zu einem weiteren umstrittenen Punkt: den kombinierten Therapien. Puristen finden den Gedanken unerträglich, daß einzelne Mitglieder zum Gruppenleiter in Einzeltherapie kommen. Praktiker weisen darauf hin, daß dadurch entstehende Gefühle der Benachteiligung, der Ungerechtigkeit schwer zu analysieren seien, weil die kombiniert Behandelten doch in einer anderen realen Situation sind als die allein auf die Gruppe Angewiesenen. Mir scheint, daß die puristische Haltung - d.h. die strikte Trennung von gruppen- und einzeltherapeutischen Settings - große Vorteile hat, weil analytische Arbeit immer sehr kompliziert ist, sehr viele Variablen im Feld hat und es daher sinnvoll erscheint, die Zahl dieser Variablen nicht ohne zwingenden Grund zu vermehren.

Gibt es solche zwingenden Gründe? Ich sehe sie dann gegeben, wenn ein Mitglied anders überhaupt nicht an der Gruppe teilnehmen kann, oder aber wenn ein Leiter eine Gruppe als therapeutisches Instrument und Teil seiner Praxiskultur aufbauen will, aber geeignete und motivierte Mitglieder vorwiegend unter den Personen findet, die er bisher einzeln behandelt hat. Ich denke etwa an eine Kollegin, die bei mir Supervision nahm. Sie hatte eine Kleinstadtpraxis, stellte sich nach und nach auf Psychotherapie und Psychoanalyse um. Kaum eine der Patientinnen, die sie schon lange als Ärztin kannte und mit denen sie gerne gruppentherapeutisch arbeiten wollte, hätte eine Überweisung zu einem Gruppentherapeuten in die nahegelegene Großstadt akzeptiert. Ich ermutigte sie, den Versuch mit einer Therapiegruppe zu wagen, und kann nur sagen, daß der Verlauf bewies, daß auch unter solchen Umständen konstruktive Arbeit möglich ist.

Wir lehren unsere Analysaden, daß die realistischen Entscheidungen des menschlichen Lebens meist nicht zwischen der absolut guten und der gänzlich schlechten Lösung stattfinden, sondern zwischen verschiedenen Mischungen aus Vor- und Nachteilen. Ähnlich sollten wir auch bei unseren therapeutischen Entscheidungen vorgehen: nicht lieber gar keine als eine unvollkommene Therapie, sondern lieber einen Versuch wagen und unter den vorhandenen Möglichkeiten die günstigste auswählen, auch wenn sie Nachteile hat. Im Fall dieser Kollegin entwickelte sich aus dieser Anfangsgruppe allmählich eine immer puristischere Gruppe, in der schließlich vorwiegend Patienten saßen, die nicht neben der Gruppenbehandlung auch noch Einzeltherapie erhielten oder medizinisch behandelt wurden. Parallel dazu wandelte sich die frühere Allgemeinpraxis in eine rein psychotherapeutische Praxis; eine Kollegin stieg ein und die beiden Ärztinnen konnten nun immer, wenn etwas Somatisches anlag, die Behandlung der Partnerin überlassen. Sie mußten nicht mehr Psycho- und Somatotherapie mischen.

Dasselbe gilt von der kombinierten Therapie. An sich ist ja auch die Behandlung, bei der ein früher somatisch tätiger Arzt sich psychotherapeutisch weiterbildet und nun den einstigen Patienten in einer neuen Interaktionsform erlebt, eine kombinierte Therapie. Denn das Unbewußte verliert nichts (aus diesem Grund ist es ja auch eine Illusion, ein erotisches Verhältnis zu einer Patientin sei nach zwei Jahren Therapiepause keine Abstinenzverletzung mehr). Aber die reinste Abstinenz ist keineswegs immer auch das günstigste Milieu für die Wahrheitsfindung über die Übertragung. Wenn sich der Analytiker exponiert, wenn er sich angreifbar macht, wenn er sich strukturellen Ungerechtigkeiten stellt, dann kann das fruchtbarer sein, als wenn er alle diese Interaktionen vermeidet.

Anna Freud hat gesagt, der Analytiker könne alles tun, was er will, solange er weiß, was er tut. Das ist ein paradoxer Satz, wenn wir die Rede vom Unbewußten ernst nehmen. Ich würe ihn so formulieren: er kann vieles tun, was die interaktionelle Wahrheitsfindung zuerst erschwert, später aber potentiell bereichert. Er operiert dann mit Risiken und muß sich üben, sie abzuschätzen. Es ist nicht so, daß alle Übertragungen durch den puristischen Analytiker aus ihrem Schlaf geweckt und erkannt werden können. Viele, die eigentlich bearbeitet werden müßten, lassen sich so nicht wecken; wenn sie aber die Situation finden, in der sie wach werden, ist oft so viel Verwirrendes geschehen, daß sie nicht mehr analysiert werden können. Aber ich finde, daß über die Möglichkeiten und Gefahren der kombinierten Therapie nur urteilen sollte, wer sie praktiziert. Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, daß durch Kombinationen immer soviel Verwirrendes gesetzt wurde, daß die interaktionelle Wahrheit nicht mehr gefunden werden konnte; anderseits kann ich aber auch nicht sagen, daß es jedesmal gelingt, die Ungleichheiten in der Gruppen-Geschwisterschar gründlich genug zu bearbeiten.

Mein persönlicher Umgang mit dieser Situation sieht so aus: ich habe zehn Jahre lang viele kombinierte Therapien gemacht und mache gegenwärtig nur noch eine einzige, nicht wegen unbefriedigender Ergebnisse, sondern aufgrund der Einsicht, daß das kombinierte Verfahren anstrengender ist als eine klare Trennung, und ich inzwischen sorgfältiger mit meinen Kräften umgehe als vor zehn Jahren. Ich verliere dadurch Gruppenmitglieder, die früher weitergearbeitet hätten - erst vor einigen Monaten hat eine Gruppenpatientin die Behandlung abgebrochen, weil sie keine regelmäßigen Einzelstunden zusätzlich bekam. Vielleicht behalte ich dadurch andere, die ich früher verloren hätte, weil sie die Ungleichheit einer Gruppe nicht ertragen konnten, in denen einige Mitglieder zusätzliche Einzelstunden haben und andere nicht, aber diese Möglichkeit macht sich natürlich nicht so deutlich bemerkbar.

Ich sagte oben, daß die regenerierende Gruppe einen festen Rahmen benötigt. Unerläßlicher Teil dieses Rahmens ist der von seiner Gruppenarbeit überzeugte Analytiker. Wer lange in einem gruppentherapeutischen Institut arbeitet und viele Kollegen kennt, der weiß auch, daß gar nicht wenige ausgebildete Gruppenanalytiker nach kürzerer oder längerer Zeit die Gruppentherapie wieder aufgeben. Die Begründungen sind meist, daß sie die Arbeit anstrengender erleben als die Einzelanalyse, daß sie nicht zehn Gutachten auf's Mal schreiben wollen, und ähnliche mehr. Mir scheint, daß sie sich nicht wirklich in diesem setting verwurzeln können - ähnlich wie Reiter, die zwar eine gute Figur auf dem Pferd machen, sich dazu aber immer anstrengen müssen, während andere ohne jede Mühe fest im Sattel sitzen. Ich habe einige Hypothesen über diesen Unterschied gesammelt; eine davon ist die, daß der Gruppenleiter sich nicht in der Gruppe bewegt (Modell "Fisch im Wasser"), sondern sie unbewußt kontrollieren möchte (Modell "Schwimmer in Not"). Diese Einstellung kann man dem angehenden Gruppenleiter wünschen, man kann ihm erklären, daß sie vorhanden sein oder fehlen kann - schenken kann man sie ihm nicht. Was sich an Empfehlungen geben läßt, mutet ein wenig banal und primitiv an, ich erwähne es hier aber doch, weil erstaunlich oft erst daran gedacht wird, wenn die Gruppe bereits ganz andere informelle Regeln entwickelt hat, als es für den erwünschten entspannten und überzeugten Gruppenanalytiker günstig ist. Ich meine zunächst die Regelung des Ausfallshonorars. Der Gruppenleiter muß sich klar darüber sein, daß er Plätze in einer Gruppe vermietet, keine Therapiesitzungen. Wenn er nicht sicher sein kann, daß ihm jeder der von ihm organisierten und getragenen Plätze auch honoriert wird, kann er auf Dauer nicht entspannt arbeiten. Daher sollte klar sein, daß die Gruppe den Leiter für jede Sitzung voll bezahlt. Da die Krankenkassen die naheliegende Lösung verbieten, das Kassenkontingent um Fehlzeiten zu kürzen, müssen alle Gruppenpatienten, die nicht erscheinen, dem Leiter den Ausfall ersetzen, und zwar völlig ohne Rücksicht auf den Grund ihres Fehlens.

Wenn ich eine gebuchte Reise wegen einer Grippe erst eine Woche später antrete, kann ich dem Veranstalter nicht die Rechnung kürzen. Wenn ich die Hälfte meines Schnitzels auf dem Teller liegen lasse, muß ich doch das ganze Menu bezahlen. Ich finde hier solche wirtschaftlichen Argumente die einzig angebrachten.

Mitglieder können Urlaub machen, wirklich krank sein oder gruppenkrank feieren, für die Honorarregelung ist das gänzlich ohne Belang, es handelt sich hier um kein pädagogisches Instrument, sondern um den wirtschaftlichen Schutz des Analytikers. Wundern Sie sich über meinen Nachdruck? Sie würden sich nicht wundern, wenn Sie viele Supervisionsstunden mit Auseinandersetzungen über die merkwürdigsten Regelungen des Fernbleiber-Honorars verbracht hätten: da gibt es Leiter, die ernste Krankheiten von unernsten unterscheiden wollen, andere, die Krankheiten gelten lassen, aber bei der Teilnahme an einer Geburtstagsfeier oder einem Theaterabend Ausfallhonorare fordern. Da gibt es welche, die einen Ausfall im Quartal herschenken - was die Mitglieder motiviert, auch zuverlässig einmal wegzubleiben, man darf das gute Geschenkte ja nicht verkommen lassen. Andere verlangen das halbe Honorar, wenn jemand nicht kommt, als würden sie die Hälfte der Schuld ihrer mangelnden Attraktivität gutschreiben.

Verlaufsformen und Krisen regenerierender Gruppen

Die regenerierende Gruppe verläuft in anderen Phasen als die geschlossene. Sie gerät periodisch in Unruhe, wenn sich die Gruppengrenze öffnet, um Mitglieder ausscheiden und neue eintreten zu lassen. Während bei geschlossenen Gruppen die Frage der Auswahl sich auf die Gruppeneignung schlechthin bezieht, kann ein Therapeut, der mehrere Gruppen hat, auch gruppenspezifische Gesichtspunkte in die Auswahl seiner Gruppenmitglieder einführen. Paßt diese Frau, dieser Mann besser in die Montags- oder in die Donnestagsgruppe? Auf diese Weise beteiligt sich auch der Leiter an der Gruppenkultur, die sich unabhängig von den einzelnen Mitgliedern aufbaut, etwa indem er einen älteren, bedächtigen Patienten in die Gruppe eingliedert, in der bereits mehrere solche Patienten sind (um zu verhindern, daß sich dieser in der Anfangsphase isoliert fühlt), oder aber beschließt, eine gesprächige, narzißtisch bedürftige Patientin in eine depressive Gruppe einzuteilen, um diese zu beleben, nicht in die ohnehin stärker hysterisch bestimmte Gruppe, in der sich sonst eine erbitterte Rivalität entwickeln könnte.

Ich muß bekennen, daß mich solche Überlegungen in der Praxis relativ selten bestimmen. Der gesamte Auswahlvorgang, über den ich schon viel gelesen und manches geschrieben habe, hat sich für mich mehr oder weniger auf Freuds Gleichnis von der Hexenprobe des schottischen Königs reduziert. Ich versuche, Patientinnen und Patienten für eine Gruppe zu motivieren. Wenn mir das gelingt, probiere ich aus, ob sie in diesem setting arbeiten können.

Die Integration neuer Mitglieder ist deshalb für mich auch die Phase, die mich besonders anstrengt. Ich kenne die "Neuen" nur aus einem oder zwei Vorgesprächen und kann zunächst nur schlecht abschätzen, wie sie sich in der Gruppe zurechtfinden und wieviel von meinen Erklärungen und Aufklärungen, die ihnen im Vorgespräch den Start erleichtern sollten, bei ihnen angekommen ist. Meine natürliche Identifikation liegt, da ich selbst der jüngere von zwei Brüdern bin, bei den Neuankömmlingen, und ich fürchte mich vor meiner eigenen Gruppe, in der ich mich sonst so wohlfühle, ob sie denn das neue Geschwister aufnehmen wird oder nicht. Diese Spannung läßt nach der ersten Sitzung deutlich nach, auch wenn die oder der Neue noch nichts getan haben, um sich die Gruppe zu erschließen.

Meine Aufklärungen an die Neulinge enthalten meist den Hinweis, daß es ganz ihre freiwillige Entscheidung sei, etwas in der Gruppe zu sagen oder nicht zu sagen, und daß die verändernde Wirkung einer Gruppentherapie häufig erst nach geraumer Zeit erlebt werde. Wenn man nicht den Entschluß fassen könne, ungefähr ein Jahr bei der Stange zu bleiben und diese Zeit notfalls auch stumm abzusitzen, sei ein Beginn dieses Unternehmens nicht anzuraten. Nach diesem Jahr könne fundiert entschieden werden, ob die Grupppe eine wirksame Hilfe böte oder nicht. Vorher sei eine solche Entscheidung nicht möglich, und schon gar nicht sinnvoll sei es, sich rasch aus der Gruppe zu entfernen, weil darin Menschen seien, mit denen man im Alltag keine zwei Stunden verbringen wolle. Gerade das Zusammensein mit solchen Personen und die Begegnung mit den durch sie ausgelösten Gefühlen sei eine sonst nie gegebene Gelegenheit, neue soziale Fähigkeiten einzuüben, eine Art Hanteltraining für die emotionalen Bereiche des Kontakts und der Beziehungen. Gruppentherapie könne angenehm sein, sei oft aber auch frustrierend. Heilsam seien beide Aspekte, wenn es gelinge, die aggressiven ebenso wie die liebevollen Gefühle zu bearbeiten. Und gerade für eine Auseinandersetzung mit Aggressionen, die so oft das Zusammenleben vergiften, sei eine Gruppe der ideale Ort.

Ich sage das nicht immer in dieser Weise, manchmal wiederhole ich solche Aufklärungen auch in der Gruppe. Dadurch lassen sich jene Anteile an den krisenhaften Regenerationsperioden abmildern, die durch eine intellektuelle Einsicht beruhigt werden können. Die Rolle des Leiters sehe ich, wie es Bion, Foulkes, Yalom und andere beschrieben haben, in einer Förderung des selbstanalytischen und selbsttherapeutischen Arbeitens der Gruppe. Wie ein guter Schäferhund wird der Leiter die Gruppe, die arbeitet, möglichst nicht stören, jedoch dann aktiv werden, wenn dieser ruhigen Arbeit Gefahr droht, wenn es z.B. der Gruppe nicht gelingt, destruktive soziale Mechanismen zu kompensieren, die eine interaktionelle Wahrheitsfindung blockieren.

Rückzug

Der wichtigste und wohl gefährlichste Mechanismus ist der Rückzug: Kränkungen werden nicht ausgesprochen, sondern durch Entwertung des Kränkenden, der gesamten Situation abgewehrt. Mit anderen Menschen, anderen Gruppen kommt der Gekränkte bestens zurecht: Wenn hier etwas nicht klappt, liegt es nicht an ihm, sondern an den anderen, und wenn diese sich nicht ändern - was hält ihn? Wenn das Schweigen und - schlimmer noch - das Fernbleiben eines Mitglieds diese Qualität haben und die Gruppe nicht reagiert, ist häufig der Leiter gefordert, mit dieser destruktiven Art der Kränkungsvermeidung zu konfrontieren. Es ist hier sehr wichtig, daß er selbst durch die Entwertung der Gruppe oder seiner Arbeit nicht nur gekränkt ist, sondern auch erkennt, wie starke Abhängigkeitsbedrüfnisse des Gekränkten hinter diesen aggressiven Entwertungen stehen. Der Gekränkte gleicht den französischen Adeligen zur Zeit von Versailles: weil sie sich nicht wuschen und doch nicht ungewaschen riechen wollten, parfümierten sie sich. Ähnlich übertönt der in seiner Kränkungsverarbeitung gestörte Patient seine Abhängigkeit und Bedürftigkeit unter verächtlicher Entwertung oder herablassender Geringschätzung der anderen Gruppenmitglieder und des Leiters. Dadurch wird sein Zuwendungshunger nicht gestillt, sondern vergrößert; wenn er selbst und die Gruppe diesen Mechanismus durchschauen lernen, entsteht eine Chance der Integration.

Geschwätzigkeit

Eine andere Krise, in der häufig der Leiter gefordert ist, verursachen Personen, die es nicht ertragen können, wenn in der Gruppe nicht sie selbst dauernd im Mittelpunkt stehen. Sie sind gerade dann problematisch, wenn die Gruppe sich nicht als geschlossene Gruppe konstituiert und alle Mitglieder die gleichen Voraussetzungen haben, sondern sich regeneriert und nun plötzlich in einer Gruppe, die in ihrem Mikrokosmos den Stil entwickelt hat, andere Menschen ausreden zu lassen und geduldig zuzuhören, ein Dauerschwätzer auftritt, der solange gähnt oder unruhig auf seinem Stuhl rutscht, wie er nicht das Wort führen kann.

In manchen Fällen ist die Geschwätzigkeit mehr überichhaft geprägt, der oder die Betreffende warten kurz ab, bis ein Mitglied irgendwelche Schwierigkeiten äußert, und decken diese dann unter einem Schwall von Allgemeinplätzen und guten Ratschlägen zu. Hier ändert sich das Verhalten oft durch die Konfrontation mit der eigenen verleugneten Bedürftigkeit. Der zudeckende Schwätzer wird schweigsamer, wenn er von seinen eigenen Problemen erzählt hat; umgekehrt fällt es den Gruppenmitgliedern leichter, ihn zu stoppen, wenn er seine Fassade lockert.

Ein anderer Dauerredner reiht ein schreckliches Erlebnis an das Nächste, häufig so, daß immer dann, wenn ein Gruppenmitglied einen Lösungsvorschlag macht, die nächste Schauergeschichte kommt, welche die vorgeschlagene Lösung lächerlich erscheinen läßt. Meine Metapher für diese Situation ist die Hausfrau, welche den Klempner, der in ihre Wohnung gerufen wurde, zunächst zu einem tropfenden Hahn ruft. Er macht sich an die Reparatur, aber ehe er sein Werkzeug auspacken kann, zupft sie ihn am Ärmel und holt ihn zu einem defekten Ausguß, und ehe er hier beginnt, holt sie ihn zum nächsten und nächsten Mangel. Nachdem auf diese Weise über längere Zeit hin viele Defekte beschrieben, jedoch keiner bearbeitet wurde, sagt die Hausherrin endlich vorwurfsvoll: "Jetzt sind sie schon eine ganze Stunde da, und haben noch überhaupt nichts gemacht. Sind sie überhaupt ein Klempner?"

In solchen Fällen ist die Gruppe oft überfordert: der größte Hilfsbedürftigkeit signalisierende, aber jede Hilfe blockierende und seinen narzißtischen Gewinn aus dem Scheitern der Helfer ziehende oral-aggressive Patient nützt das therapeutische Klima für destruktive Zwecke. In solchen Fällen habe ich es mir abgewöhnt, mich im Gewährenlassen zu üben. Ich deute relativ rasch die Situation, konfrontiere den Schwätzer, bitte ihn notfalls, doch zu schweigen und der Gruppe eine Möglichkeit zu bieten, wenigstens einen Teil des Gehörten zu verarbeiten. Da die Geschwätzigkeit sehr häufig ein Angstsymptom ist, ist der Dauerredner häufig entlastet, wenn er ein Redeverbot erhält. Manchmal ist er auch beleidigt; dann tritt die oben erläuterte Bearbeitung einer Rückzugs-Krise in Kraft.

Meine Damen und Herrn, ich will, ehe ich mich hier selbst zum Dauerschwätzer mache, meinen Vortrag über die Besonderheiten ambulanter Gruppen jetzt beenden. Ich habe viel weggelassen, was sicher auch sehr wichtig wäre - beispielsweise Methodenkombiantionen in Gruppen, die Ausbildung von Gruppenleitern, die Beendigung einer Gruppentherapie. Aber ich hoffe doch, Ihnen ein Bild meiner persönlichen Erfahrungen vermittelt zu haben, und danke Ihnen für Ihr Interesse.

Literatur

Bion,W., Experiences in Groups, London 1961
Bradford,L.P. et al.(Eds.), T-Group Theory and Laboratory Method, New York 1967 (Dt.Ausg. Stuttgart 1973)
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Cremerius,J. Gibt es zwei psychoanalytische Techniken? Psyche 33, 551-564, 1979
Ders., Vom Handwerk des Psychoanalytikers. Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik. Bde.1 u.2, Stuttgart l984 (Frommann-Holzboog)
Foulkes,S.H., Therapeutic Group Analysis, New York l964 (Deutsche Ausgabe Frankfurt l985)
Freud,S., Gesammelte Werke, Bd. I-XVII, Frankfurt 1950. Das Gleichnis von der Hexenprobe in Freud,S., Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Bd. XVI
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Schmidbauer,W.,Wie Grupppen uns verändern. Selbsterfahrung, Therapie und Supervision. München (Kösel) 1992
Slater,P.E., Microcosm. New York l966
Slavson,S.R., A Textbook in Analytic Group Psychotherapy, New York 1964
Yalom,I.D., Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. München (Pfeiffer) 1989
Anschrift des Verfassers: Dr. Wolfgang Schmidbauer, Ungererstr. 66, 80805 München



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